Blue or Red Pill?

Diese Seite ist für alle, die sich für das Buch von Verena Eichmann und mir interessieren. Wir freuen uns über Rückmeldungen!


Ich werde rund um das Buch immer wieder mit Fragen wie diesen konfrontiert: "Warum soll ich mich überhaupt mit diesen Themen auseinandersetzen? Sind die Prägungen meines Elternhauses wirklich so wichtig? Was bringt mir dieses Hinterfragen?"

Ich mag den Film "The Matrix", weil er für mich die Widersprüchlichkeit des menschlichen "Vogel-Strauss-Verhaltens" sehr gut darstellt. Der Hauptdarsteller führt im Film ein Doppelleben. Tagsüber arbeitet er als Thomas Anderson in einer Softwarefirma. Die Nächte verbringt er unter dem Decknamen Neo vor seinem PC als Hacker. Beides langweilt ihn. Er wird das Gefühl nicht los, dass etwas Grundlegendes mit dieser Welt nicht stimmt. Er sucht Antworten. Plötzlich taucht ein mysteriöser Typ namens Morpheus auf, der ihn mit einer folgenschweren Entscheidung konfrontiert.

Morpheus: Glaubst du an das Schicksal, Neo?
Neo: Nein.
Morpheus: Warum nicht?
Neo: Mir missfällt der Gedanke, mein Leben nicht unter Kontrolle zu haben.
Morpheus: Ich weiss ganz genau, was du meinst. Ich will Dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weisst. Etwas, das du nicht erklären kannst, aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weisst nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt. Weisst du, wovon ich spreche?
Neo: Von der Matrix?
Morpheus: Möchtest du wissen, was genau sie ist? Die Matrix ist allgegenwärtig. Sie umgibt uns. Selbst hier ist sie, in diesem Zimmer. Du siehst sie, wenn du aus dem Fenster guckst, oder den Fernseher anmachst. Du kannst sie spüren, wenn du zur Arbeit gehst, oder in die Kirche, oder wenn du deine Steuern zahlst. Es ist eine Scheinwelt, die man dir vorgaukelt, um dich von der Wahrheit abzulenken.
Neo: Welche Wahrheit?
Morpheus: Dass du ein Sklave bist, Neo. Du wurdest wie alle in die Sklaverei geboren und lebst in einem Gefängnis, das du weder anfassen noch riechen kannst. Ein Gefängnis für deinen Verstand. Dummerweise ist es schwer, jemandem zu erklären, was die Matrix ist. Jeder muss sie selbst erleben. Dies ist deine letzte Chance - danach gibt es kein Zurück. Schluckst du die blaue Kapsel, ist alles aus. Du wachst in deinem Bett auf und glaubst an das, was du glauben willst. Schluckst du die rote Kapsel, bleibst du im Wunderland, und ich führe dich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus.

Natürlich handelt es sich bei "The Matrix" um einen Science-Fiction-Film. Dennoch könnte man die Matrix-Scheinwelt mit unserem Bewusstsein vergleichen, während die im Film dargestellte "reale Welt" des Kampfes gegen die Maschinen unser Unterbewusstsein symbolisiert. Ich glaube, wenn wir unser Verhalten für einen Moment reflektieren, spüren wir schnell, dass wir sehr viele Dinge denken, fühlen und tun, die sich unserer bewussten Wahrnehmung entziehen. Wer hat sich nicht schon sagen hören: "Wie konnte ich nur? Was habe ich mir dabei gedacht? Wieso fühle ich mich so?"
Unsere bewusste Wahrnehmung scheint ziemlich verzerrt zu sein, was vor allem durch menschliche Probleme wie Vereinsamung, Sinnverlust, Erschöpfungs- und Depressionskrankheiten, selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, sowie auch Ignoranz und Egoismus zum Vorschein kommt.

Doch das eigentliche Problem der Sache liegt woanders, was der Film gut vermittelt: Wir haben in der Regel nichts anderes kennen gelernt als unsere Art und Weise der Wahrnehmung, unserer "persönlichen Matrix". Wir fühlen zwar diesen "Splitter im Kopf", der uns zeitweilen verrückt macht, weil er an eine Realität erinnert, die sich mit unserer nicht vereinbaren lässt. Dennoch blenden wir ihn bewusst oder unbewusst aus, weil wir es so gelernt haben. Wir sehen unser Leben nicht so, wie es wirklich ist, sondern wie es uns beigebracht wurde zu sehen.
Das Leben ist jedoch stärker als unsere Prägungen und konfrontiert uns hin und wieder mit Dingen, die laut unserer Wahrnehmung gar nicht sein dürfen. "Das darf doch nicht wahr sein! Gibt's doch gar nicht! Was ist bloss in mich gefahren? Hätte ich doch nur..." oder ähnlich ist dann unsere Reaktion. Solche Denkmuster sind teilweise so tief in uns verankert, dass sie eine grosse und oftmals unbewusste Macht über unser ganzes Leben ausüben können. Dennoch liegt es bei uns, ob wir unser Leben nach der "Vogel-Strauss-Taktik" ausrichten, oder zu hinterfragen beginnen - und genau hier beginnt unser Buch.

Um nochmals auf die eingangs angespielte Frage des Elternhauses zurückzukommen: Es ist sekundär, ob und wie stark unser Elternhaus an uns schuldig geworden ist. Ebenso sekundär ist es, wie unsere Erzieher die Dinge sahen oder jetzt sehen, weil sie weder für uns denken noch für uns fühlen können, auch wenn sie dies vielleicht oft versuchten. Deshalb kann uns nur eine Frage wirklich weiterbringen: Wie haben wir selbst die prägenden Momente in unserer Biografie gefühlsmässig, also auf der Bauchebene empfunden? Was haben sie in uns ausgelöst? Vielleicht müssen wir uns auch fragen, ob wir da überhaupt noch etwas spüren.

Wie in "The Matrix" geht es auch in unserem Leben um Entscheidungen, die wir treffen. Natürlich können wir dabei nicht aus unserer Haut fahren, aber wir können uns bei jeder schwierigen Situation zwischen der roten Pille des Hinterfragens und der blauen Pille des Verdrängens entscheiden. Die Wahl der roten Pille mag manchmal unangenehm sein, aber sie ist das einzige Heilmittel gegen ein bedeutungsloses Leben in der Fremdbestimmung durch Umstände, Mitmenschen oder Religionen.
Meines Erachtens liegt der Haken nicht darin, dass sich die wahre Fülle des Lebens nicht finden liesse, sondern dass die meisten die Suche danach schon längst aufgegeben haben. Dennoch bleibt es unsere alleinige Entscheidung, wie sehr wir am Leben interessiert sind und an der Wahrheit, die in unserem Innern auf uns wartet. «Ob Du nun glaubst, dass Du etwas tun kannst, oder ob Du glaubst, dass Du es nicht tun kannst, Du wirst immer recht behalten.» (Henry Ford)